Zweiter Teil:
Von Pondy nach Rameswaram
Nach der Flasche Wein war das Aufstehen am Montag früh auch nicht gerade einfach, aber da muss man durch...noch ein Frühstück im Hotel und los geht’s, das Tagesziel ist der Landzipfel, der in Richtung Sri Lanka zeigt mit der Stadt Rameswaram an der Spitze.
Die Fahrt dorthin ist relativ langwierig, weil die Straßen nicht wirklich in gutem Zustand sind. Angesichts dessen mache ich auch keine Extraabstecher und bleibe nur ab und zu zum Teetrinken stehen.
Die Tasse indischer Chai kostet am Land 5 Rupees, also 6 Cent. An einem Stand habe ich mein Motorrad in der Sonne abgestellt, hab mich hingesetzt, eine Tasse bestellt, da bietet mir der Verkäufer auch noch indisches Knabbergebäck dazu an, das ich natürlich gerne probiere. Beim Bezahlen wollte ich ihm einen Zehner geben, den er aber vehement abgelehnt hat, 5 Rupees und keinen Paise mehr (das ist die Unterwährung, die aber nur in der Theorie existiert).
Als ich zum Motorrad gehe, sehe ich, dass er auch noch eine Decke über den Sattel gelegt hat, „damit er nicht so heiß wird von der Sonne...".
Die indische Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft ist schon wirklich unübertroffen. Sobald ich irgendwo an einer Straßenkreuzung stehen bleibe um auf dem Handy-Navi nachzuschauen ob ich noch „on track" bin, dauert es meist keine 5 Minuten bis der erste kommt oder anhält und sich erkundigt, ob ich ein Problem hätte und Hilfe bräuchte...unglaublich toll.
Als ich schließlich in Rameswaram ankomme bin ich schon ziemlich kaputt, es ist auch kurz vorher dunkel geworden und sowohl der Rücken als auch die Verlängerung schmerzen und im Gesicht macht sich die Sonne ziemlich bemerkbar. Ich habe leider vergessen Sonnencreme einzupacken und außerhalb großer Städte ist es auch unmöglich welche aufzutreiben. Das erste Hotel, das ich anfahre ist leider schon voll, im zweiten kann ich einchecken, allerdings ist das verhältnismäßig gehoben und der Pförtner rümpft schon erstmal die Nase, bevor er mir mit meinem „Wild Hogs" Aussehen das Eingangsgatter öffnet...:-)
Als ich an der Rezeption die ganzen Eincheck-Formalitäten erledige kommt der Hotelrestaurantchef auf mich zugestürmt: „I saw you just arriving with the Enfield, you must have had a long journey, I would like to invite you for a free dinner!" Wahnsinn, oder?
Nach dem Abend-Buffet geht es dann auch relativ schnell ins Bett es war ein anstrengender Tag und großartig Aufregendes ist ja am Montag abend nicht mehr zu erwarten...
Am nächsten Tag entscheide ich mich eine weitere Nacht zu bleiben, schließlich ist mir Rameswaram von meinen indischen Kollegen besonders empfohlen worden.
Also nach dem Frühstück ab in die Stadt, bzw. die Halbinsel erkunden. Etwas außerhalb des Ortes bleibe ich stehen um ein Foto vom Palmenstrand zu machen und schon werde ich wieder angesprochen, diesmal von einem Fischer namens Sahayaraj. Ob ich denn nicht von ihm zu einem Korallenriff geführt werden wolle. Wie, ich habe ja gar kein Badezeug mit...kein Problem, in Unterhosen und das Wasser ist so seicht, dass man ohne Boot hingehen könne. Na gut, warum nicht, der Preis von 300 Rupees für eine Stunde Privatführung erscheint mir auch nicht übertrieben, also los geht’s, raus aus den Klamotten und rein ins Wasser. Der Fischer holt noch Taucherbrillen und auf geht’s.
Was dann folgt ist dann auch echt schön, kein wirkliches Riff, aber viele unterschiedliche Korallen im klaren Wasser und ab und zu auch Fische und Seegurken, ein lohnenswertes Erlebnis, das auch weit länger als eine Stunde dauert , aber der Fischer ermuntert mich immer wieder, das müsse ich noch sehen und das...also, Zeit scheint nicht wirklich eine Rolle zu spielen, sehr sympathisch.
Als wir wieder zurück an Land sind, fragt er mich, ob ich denn schon was zum Abendessen vor hätte, oder ob ich nicht kommen wolle, seine Frau, Rani, würde Fisch machen...
Klar, die Verabredung für 19:30 steht...:-)
Die Zeit dazwischen nutze ich um ganz gemütlich ein bisschen in der Gegend rumzufahren, einige Tempel anzuschauen, Rameswaram ist ein sehr heiliger Ort, deswegen gibt es davon jede Menge, am Eindrucksvollsten ist der Haupttempel in der Stadt, riesengroß, nur leider muss man am Eingang sowohl Fotoapparat als auch Handy abgeben. In den innersten Bereich darf man dann auch gar nicht rein, ab einem gewissen Punkt ist der Zutritt nur für Hindus erlaubt...
An mehreren Stellen gibt es Wassertanks an denen sich viele Hindus vollkommen bekleidet eimerweise Wasser über den Kopf schütten lassen, das scheint irgendein besonderes Reingungsritual zu sein...
Rechzeitig zum Sonnenuntergang fahre ich an das Kopfende der Landzunge, dort gibt es einen schönen Strand und ich nutze die Stimmung für ein „Fotoshooting" mit meiner Enfield...
Gar nicht so einfach, mit der Kiste durch den lockeren Sand zu kommen...
Von hier aus ging es ja früher noch etwas weiter und man konnte noch ein Stück mit dem Zug fahren bis zu einem Punkt an dem man dann das Boot nach Sri Lanka nehmen konnte... Leider gab es im Dezember 1964 so einen gewaltigen Zyklon, dass dieser Landteil inklusive Infrastruktur komplett weggefegt wurde und seither ist es auch von dem Punkt aus nicht mehr möglich die gut 20 km entfernte Insel zu erreichen.
Dann ist es auch schon Zeit für meine Abendessensverabredung, als ich ankomme ist noch der Bruder des Fischers da, was sich als großes Glück herausstellte, weil der sehr gutes Englisch spricht.
Wie sich allerdings zeigt, gibt es zwar ausgesprochen leckeren Fisch mit Reis als Beilage, aber ich bin der einzige der isst. Auf meine Nachfrage hin ist die Auskunft, alle anderen würden später erst essen...
Irgendwann fragt mich Antony, der Bruder, ob ich denn ein Bier wolle...jetzt bin ich aber total überrascht, damit habe ich nicht gerechnet, aber er meint er könne etwas besorgen. Zwischenzeitlich ist auch noch der Schwager des Fischers gekommen, also gebe ich ihm Geld um 4 Flaschen Bier zu kaufen...10 Minuten später kommt er auch zurück mit großen Flaschen Kingfisher extrastrong...ich wusste bis dahin gar nicht, dass es das gibt...
Die teilten wir uns dann auch allerdings nur zu dritt, weil der Sahayaraj kein Bier wollte... und das Gespräch nahm Gehalt an, wie ich es vorher nicht erwartet hätte.
Ich erfahre, dass 90 % der Fischer an der südindischen Küste Christen sind, was schon etwas Besonderes ist, bei nur 4% Anteil der Christen im indischen Gesamtdurchschnitt.
Irgendwann haben wir drei unsere jeweilige Flasche Bier ausgetrunken, der Schwager ist gegangen, so blieb also die letzte Flasche für Antony und mich. Ich schlage vor, wenn er zwei Gläser bringt, könnten wir die ja teilen und dann kam wieder etwas vollkommen Überraschendes: „No formalities, we can share the bottle". Das ist deswegen so erwähnenswert, weil die Inder so wie ich sie bis jetzt kennengelernt habe, normalerweise NIE gemeinsam aus dem gleichen Gefäß trinken und wenn doch, weil es unvermeidlich ist, dann berühren sie nicht mit den Lippen den Flaschenhals, sondern kippen sich aus einigen Zentimetern Entfernung das Wasser in den Mund, was ja mit Bier schlecht möglich ist.
Als ich schließlich mit dem Essen fertig bin und den immer wieder gereichten Nachschlag vehement ablehnen muss, weil einfach nichts mehr Platz hat, entschuldige ich mich für die Sauerei, die ich auf dem Boden hinterlassen habe, ich bin es schließlich nicht gewöhnt mit den Fingern (ausschließlich der rechten Hand!) zu essen. Und wieder überrascht er mich: „erstens sieht es bei uns genauso aus nach dem essen, und zweitens entschuldigen wir uns nie innerhalb der Familie, wir gehen davon aus, dass man ja nicht absichtlich etwas „schlechtes" tut...entschuldigen gehört nicht zu unserer Kultur. Außerdem lassen wir dem Körper freien lauf, alles andere ist ungesund"...was er auch durch hemmungsloses Rülpsen glaubhaft unterstreicht...
Ein sehr beeindruckender Abend. Ich bezahle schließlich auch für mein Essen, was vermutlich auch erwartet wird, auch wenn es nicht direkt angesprochen wird. Aber es wird für mich Zeit zu gehen, ich muss ja noch ins Hotel zurückfahren und ganz ohne Wirkung bleibt das „extrastrong" auch nicht.
Ich werde verabschiedet mit den Worten, dass, wenn ich das nächste Mal komme doch bei ihnen übernachten soll und es außerdem ziemlich schade wäre, dass ich morgen wieder aufbrechen muss, weil der Neffe heiratet und ich herzlich zur Hochzeitsfeier eingeladen wäre...
Zurück im Hotel will ich gerade in den Aufzug einsteigen, da glaube ich meinen Augen nicht zu trauen, vor dem Lift stehen Sylvie und Anne, zwei Bekannte aus Palm Meadows...so eine Wirkung hätte ich dem „extrastrong" gar nicht zugetraut ;-) , aber sie waren es tatsächlich...small world...
Ich verabschiede mich aber nach einem kurzen Smalltalk ins Bett, ich bin doch ziemlich geschafft...
Am nächsten Morgen beim Frühstücken stellt sich heraus, dass die Mädels zu viert unterwegs sind, zwei weitere Französinnen, die ich auch aus Palm Meadows kenne sind noch dabei...
So kommt es, dass ich am Frühstückstisch ein paar Geschichten von meiner bisherigen Tour zum Besten gebe und anscheinend sind sie so gut angekommen, dass mich Adelaine fragt, ob ich denn nicht am Ende meiner Reise einen kleinen Vortrag in ihrem Bekanntenkreis halten wollte...na, so habe ich mir das eigentlich nicht vorgestellt, aber wer kann schon am Morgen einem französischem Augenaufschlag widerstehen...ich bin trotzdem noch hin und hergerissen, dann kam das ultimative Totschlagargument: „We will pay you in beer..." Na, wenn das so ist...;-)
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