8.9. / 9.9.
Sonntag früh ging es dann gleich los Richtung Agra, natürlich wieder mal später als uns Balu vorgeschlagen hat, aber der kann mir was das betrifft ehrlich gesagt den Buckel runter rutschen. Ca. 4 einhalb Stunden Fahrt liegen vor uns, gut 200 km, also in etwa ein 50er Schnitt… das lässt vermuten, dass die Straße zwischen Delhi und Agra relativ gut ist…(in Indien lernt man Strecken anders einzuschätzen…)
Beim Rausfahren aus Delhi sind wir an einem Gebäude vorbeigefahren mit einer Tafel davor auf der stand "Institute for Disaster Management"…mein erster Gedanke war ob das wohl ein weiterer Ableger unserer Firma ist…;-)
Nach ca. der Hälfte der Strecke kommt man in einen anderen Bundesstaat, Uttar Pradesh. Balu musste hier an der Grenze vermutlich Road Tax o.ä. bezahlen, jedenfalls ein paar Minuten Zwangspause. Da das ja sehr viele der Delhi-Agra Touris machen müssen, hat sich da auch wieder eine Community aus der Kaste der "Nervigen-den-Touristen-auf-den-Keks-geh-Inder" versammelt, eigentlich nicht erwähnenswert, diesesmal gab es aber eine, für mich neue Ausprägung: Inder mit Affen die an der Leine gehalten werden, teilweise kostümiert und mit Lippenstift angemalt. Das ist nicht mehr schrecklich, das ist schon pervers. Ich habe auch kein Foto gemacht, geschweige denn mich auf eine Unterhaltung eingelassen, man muss das ja nicht noch fördern.
Dann geht es weiter, aber nur ein paar Minuten, dann steuert Balu ein Restaurant an, er ist der Meinung es ist jetzt an der Zeit was zu Essen und steigt aus…langsam fängt er wirklich an uns zu ärgern. Ich rufe die Agentur an, aber es ist Sonntag und keiner geht ran. Ich rufe Balu an und mache ihm klar, dass wir weiterfahren wollen…er kommt auch gleich, ihm geht halt jetzt seine Provision durch die Lappen, weil an dem Restaurant auch ein Souvenirshop angeschlossen ist und es kann mir keiner erzählen, dass er zufällig hier gehalten hat.
Kurz vor Agra lassen wir das Grabmal von Akbar links liegen, schade eigentlich, es wäre bestimmt auch sehenswert, aber vielleicht auf dem Rückweg...(was dann aber leider auch nicht geklappt hat). Einchecken im Hotel, ich habe den Namen vergessen, irgendein Palace, jedenfalls war der Blick aus unserem Zimmer auf zahllose verrostete Klimaanlagen und schmutzige Hinterhöfe, aber wir sind ja nicht nach Agra gekommen um die Hotelatmosphäre zu genießen (und ansonsten war das Hotel sehr gut, absolut kein Grund zum Beschweren). Die Kinder wollten nicht mit zum Fort, wir sollten sie erst abholen wenn wir zum Taj Mahal fahren (ihre Zimmer-Aussicht war auch besser..;-)
Also kurz Zahnbürste ausgepackt, das neue Hemd in den Schrank gehängt und los geht's zum Palast (also zum Fort, aber wir wissen ja alle, dass es sich dabei um den Palast handelt…;-)
Dieses Mal haben wir uns einen Guide genommen, einen jungen sehr sympathischen Mann namens Sikander (=Alexander), der sich als richtiger Glücksfall rausstellte, weil er sehr viele Geschichten zu erzählen hatte (gut das erwartet man ja eigentlich) und weil er gut fotografieren konnte (kann Kathrin auch) und alle lohnenswerten Winkel kannte aus denen man gute Fotos macht, sein Papa ist wohl professioneller Fotograf im Taj Mahal und wir haben Sikander dann auch noch für unseren Besuch später im Taj Mahal engagiert (und auch noch für eine Führung über den Markt am nächsten Morgen).
Aber erst mal zu den Geschichten: Es gab am Hofe immer so um die 300 Kurtisanen, junge bildhübsche Mädchen, die im zarten Alter zwischen 16 und 18 Jahren in den königlichen Harem gekommen sind. Der erste Platz nach dem Eingangstor ist im ersten Stock umgeben von einem arkadenartigem Balkon auf dem die Mädchen bei der Ankunft des Königs aufgereiht standen und jede sehnsüchtig darauf gewartet hat, an diesem Tag als des Königs Herzensdame auserwählt zu werden. Etwas weiter war dann der Raum in dem sich der König am Tanze der Damen erfreute, wo Speisen und Getränke gereicht wurden und keine anderen Männer zugelassen waren, nur die Königin, die Kurtisanen und unzählige Eunuchen als Bedienpersonal und Musikanten waren anwesend… wieder etwas weiter war ein offener Pavillion mit Blick auf den Fluß Yamuna, in dem der König mit der Haremsdame seiner Wahl Schach gespielt hat und wenn er sie besiegen konnte hat sie sich ihm anschließend hingegeben (wenn er verloren hat wahrscheinlich auch…). Wahrscheinlich hat Sikander auch noch andere Geschichten erzählt, aber meine Fantasie war zu diesem Zeitpunkt schon so im Overload, dass ich nix anderes mehr aufnehmen konnte…;-)
Nein, natürlich nicht…ich hab' schon fleißig zugehört, aber wenn wir jetzt schon beim Thema sind ist es vielleicht auch an der Zeit die Geschichte vom Großmogul Shah Jahan und seiner Hauptfrau Mumtaz Mahal zu erzählen.
Trotz all der Kurtisanen ist der König immer wieder zu seiner einzig großen Liebe, eigentlich schon seine dritte Frau, zurückgekehrt und sie hat ihm auch ein Kind nach dem anderen geschenkt, bis sie schließlich bei der Niederkunft des 14. Kindes im besten Alter von 38 Jahren gestorben ist. Der König lies sofort über 20 000 der besten Handwerker, Architekten, Bauarbeiter kommen um das schönste Grabmal zu erbauen, das die Welt je gesehen hat. In drei Monaten war das Fundament fertig gestellt, so dass der Leichnam von Mumtaz Mahal beerdigt werden konnte. In den folgenden 22 Jahren entstand dann an einer Biegung des Yamuna der Taj Mahal, der "Kronen-Palast" (Taj=Krone, Mahal=Palast) aus weißem Marmor. Der ursprüngliche Plan war, dass gegenüber auf der anderen Seite des Flusses ein weiteres Grabmal für den König Sha Jahan errichtet werden würde, komplett aus schwarzem Marmor…
Dazu kam es aber nicht, von den 14 Kindern überlebten (aus natürlichen Gründen) nur sechs, vier Jungs und zwei Mädchen.
Der jüngste der Jungs, Aurangzeb ermordete seine drei Brüder aber später als der Vater schwächer wurde und riss die Macht an sich, den Vater sperrte er in einen Winkel des Agra Fort von dem aus er, aufopfernd gepflegt von seiner ältesten Tochter Jahanara, die letzten Lebensjahre damit verbrachte auf das Grabmal seiner großen Liebe hinunterzublicken… "…and there it is, the Taj Mahal, on the bank of the Yamuna river, like a teardrop frozen on the cheek of time…", eine gefrorene Träne auf der Wange der Zeit… ist das nicht schön? so wurde es am Abend bei der hiesigen Light and Sound Show beschrieben…
Und tatsächlich hat man vom Fort aus einen sehr schönen Blick auf das Grabmal, der erste Live-Blick (und ich war natürlich doch nur im T-Shirt…:-(
Bevor wir uns aber auf den Weg machten haben wir uns noch eine Privatführung durchs Bad der Königin gegönnt, der Bereich ist eigentlich abgesperrt, aber Geld öffnet auch hier die Türen. Also, das Personal im Fort hat sich natürlich hier eine zusätzliche Einnahmequelle verschafft, aber was soll's 500 Extra Rupees können wir uns leisten und das war es auch wert. Das Badezimmer ist mit unzähligen kleinen Spiegeln ausgestattet und hat keine Fenster durch die natürliches Licht eindringt. Unser Badezimmer Guide hat zwei Kerzen angezündet und es ist wirklich erstaunlich wie die Lichteffekte waren, selbst bei nur zwei Kerzen. Er hat gesagt, man müsse sich vorstellen, dass rings um die überdimensionierte Badewanne in der die Königin (und dazu vielleicht auch manchmal der König) im duftendem Rosenwasser saß, die nackten Haremsdamen mit vielen Kerzen und auch Musikinstrumenten für die entsprechende Atmosphäre sorgten…sollte sich zu dem Zeitpunkt meine oben erwähnte Fantasie schon beruhigt gehabt haben, hat sie sich hier zu neuen Höchstleistungen aufgerafft…;-)
Jetzt war es aber wirklich an der Zeit zum Taj Mahal zu fahren, wie erwähnt hat sich unser Führer angeboten mit zu fahren und wir haben das Angebot auch gerne angenommen. Erst aber ins Hotel, die Kinder holen und natürlich das neue Hemd anziehen. Sikander hat, als ich gesagt habe ich möchte mich umziehen, zwar sofort gewitzelt, dass ich wohl die Kurtisanen erwarte, aber wir wissen ja, dass ich das Hemd zu Ehren des Taj Mahal gekauft habe…leider um ca. zwei Nummern zu klein, wie sich jetzt rausstellte, ich konnte es leider in Delhi auf der Straße nicht probieren (oder wollte zumindest nicht) und so musste ich halt doch ein anderes, inzwischen wenigstens halbwegs ausgelüftetes, Hemd tragen. Das geht ja schon gut los…
Besuchszeiten sind übrigens von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, täglich außer Freitag, da wird nämlich, wie wir später erfahren haben, immer fleißig restauriert. Die schönsten Momente sind: sun rise, sun set and full moon. Sonnenuntergang stand ja bevor, zum Sonnenaufgang wollten wir am nächsten Morgen hin und Vollmond war leider nicht in Sicht, 2 Tage vor Vollmond bis 2 Tage nach Vollmond gibt es extra Nachtöffnungszeiten.
Wir haben den Osteingang gewählt, weil da angeblich am wenigsten los ist, es war auch nicht viel los, und erstmal kommt man ja sowieso auf einen Platz von dem man dann nur noch durch das große Haupttor zum eigentlichen Grabmal kommt. Nichtsdestotrotz hat es schon rausgespitzt und die Aufregung steigt langsam.
Dann geht man endlich durch das Tor und es steht da…wie verhält man sich jetzt wenn man seiner Jugendliebe das erste Mal gegenüber steht? Man ist cool und macht erstmal Fotos (naja, bei einer Frau würde man das wahrscheinlich nicht machen). Sikander hat die Rolle des Profi-Paparazzi übernommen und zwar sehr gut. Sollte man die Gelegenheit nicht haben, stehen Heerscharen von Fotografen bereit die gegen einen Obolus die gewünschten Schnappschüsse machen. Also, jeder alleine, Kathrin und ich zusammen, nur die Kinder, alle zusammen, das gleiche von verschiedenen Blickwinkeln aus, immer darauf achten, dass die Anzahl der "Rest-Menschen" relativ klein ist, ein richtiges Fotoshooting (ich wäre jetzt bereit mich bei der nächsten Heidi Klum Staffel anzumelden, aber nimmt die überhaupt Jungs?). Es gibt eine Bank auf der Lady Diana ein Fotoshooting hatte, zwei Monate bevor sie diese unglückselige und fatale Bekanntschaft mit einem Pariser Unterführungspfeiler machte, diese Bank heißt jetzt auch ganz offiziell "Lady Di's Chair". Da musste natürlich auch noch ein Satz Fotos entstehen…aber langsam war es dann auch gut…und ich konnte mich das erste Mal wirklich ganz dem Bauwerk widmen, einfach mal hinsetzen und wirken lassen…und was soll ich sagen, es ist perfekt, die Anordnung, die Dimensionen, die Ausführung, das Material, die Plazierung, einfach alles, es ist perfekt, ich habe noch nie etwas ähnlich Schönes (das nicht atmet und mit weiblichen Attributen ausgestattet ist) gesehen.
Natürlich schaut man sich dann die Details an, die Minarette, die nach außen geneigt sind um bei einem Erdbeben nicht auf das Grabmal zu stürzen, das Gästehaus rechts vom Taj Mahal, die Moschee links davon, die zwei Gräber im Inneren. Sha Jahan wurde schließlich dann auch hier begraben an der Seite seiner Frau, und zwar direkt an ihrer Seite etwa 30 Fuß oder Meter, das weiß ich nicht mehr, unterhalb der ge-fakten zwei Gräber, eine weitere Nuance der romantischen Geschichte… die zwei Gräber wurden angeblich errichtet, damit man die Moslems nicht vor den Kopf stößt, die mögen das anscheinend nicht, wenn man gemeinsam begraben liegt. All das ist natürlich sehens- und wissenswert, aber der Zauber liegt sicherlich in der Gesamtheit, mehr kann man hier nicht beschreiben, ich war auf jeden Fall sehr glücklich nicht enttäuscht worden zu sein.
Anschließend sind wir in ein Restaurant, das uns unser Guide empfohlen hat, gegangen, dort trafen wir dann auf eine ganze Touri-Gruppe aus Deutschland, allerdings im Nebenzimmer und vermutlich war unser Guide hier auch ein wenig über Provision beteiligt, aber was soll's, es war gut. Nur hat es halt wieder alles zu lange gedauert, das heißt auch hier haben wir den Anfang der Light and Sound Show im Fort verpasst…aber auch hier der gleiche Eindruck, sollte jemand da sein, es ist wert dahin zu gehen und sei es nur deswegen um so Ausdrücke wie den der "Gefrorenen Träne" zu hören…
Den täglichen Absacker gab es diesesmal in der Tequilla Bar des Hotels, allerdings haben wir darauf geachtet, dass es nicht zu spät wird, wir hatten ja vor am nächsten Morgen schon vor dem Frühstück den zweiten und letzten Besuch zu machen, allerdings ohne Kinder, die haben zwar lange überlegt, aber letztendlich hat der Gedanke auf ein Weckerklingeln um halb sechs dann doch zu sehr abgeschreckt…
Wir sind auch tatsächlich um sechs Uhr früh im Auto gesessen und um 6:15 sind wir durch das Tor marschiert, aber eigentlich waren wir schon zu spät, die echten Early Birds kamen uns schon wieder entgegen, aber es macht nichts, das Licht war sehr schön, ganz anders als am Vorabend und während Kathrin natürlich fotografiert hat wie ein Weltmeister bin ich meistens nur rumgesessen und barfuß rumgelaufen und Stimmung genossen. Affen waren auch da, auf dem Geländer zum Fluss rüber, komisch, ich hätte alles Mögliche hier erwartet, aber auf Affen war ich nicht eingestellt, aber klar, diese Viecher gibt es hier ja überall.
Um neun hieß es dann Abschied nehmen, was aber nicht so schwer gefallen ist, schließlich wartete im Hotel Frühstück auf uns...
Nach dem Auschecken haben wir uns dann auf unseren Wunsch hin nochmal mit Sikander getroffen, wir wollten noch über den Markt schlendern und er hat angeboten uns zu begleiten. Erschienen ist er in einem, ich sag mal traditionellem indischen Werktagsgewand, weiße weite Hose und ein sehr langes weißes Hemd darüber, das mussten wir Jungs natürlich auch haben und so ist schon viel Zeit auf dem Markt mit Klamotten anprobieren draufgegangen. Zurück zu Balu sind wir dann mit der Fahrrad Rikscha, damit die Jungs auch mal in den Genuss kamen, Sikander hat den Preis fixiert und da hat man mal wieder gesehen was es für einen Unterschied macht ob ein Inder einen Preis aushandelt oder ein Bleichgesicht...
Apropos Handeln, auf dem Parkplatz direkt vor dem Red Fort Agra ist natürlich auch die ganze fliegende Händler-Brut. Einer wollte mir permanent eine Peitsche aus angeblich Kamelleder andrehen (hätte ja manchmal auch seinen Reiz), aber ich bin halt partout nicht darauf angesprungen, er sagte: ¨Only fifty¨, ich habe ihn daraufhin angeschaut und ungläubig gefragt: ¨50 Rupees?¨ Darauf er ¨No, Sir 50 Dollars¨...aha, ich bin weitergegangen, er mir nach, mit jedem Schritt ein neues Angebot, kurz bevor ich ihm die Autotüre vor der Nase zugeschlagen habe war er bei 200 Rupees, also ca. 2,40 Euro... da sieht man mal wie aberwitzig die Anfangspreise sind...
Die Rückreise verlief unspektakulär, leider hatten wir halt keine Zeit mehr für einen Abstecher. Balu hat am Flughafen in Delhi sein Trinkgeld erhalten, selbst wenn er es eigentlich nicht verdient hat, aber irgendwie schließt man ja nach vier gemeinsamen Tagen fast jeden Menschen in sein Herz...und vielleicht besucht er damit ja einen Englischkurs...
Bangalore hat uns mit Shekar und Regen empfangen und man stellt sich halt wirklich die Frage ob es immer gut ist den letzten Flieger zu nehmen, wenn man am nächsten Tag früh raus muss... aber wie oft im Leben bekommt man schon die Gelegenheit seine Jugendliebe zu treffen..;-)
Nachtrag: Ich war gerade dabei ein paar Fotos fuer die Galerie rauszusuchen, ich dachte erst, es werden wohl unendlich viele Taj Mahal Bilder werden... es sind fast keine geworden, warum? Weil die Bilder nicht annähernd das wiedergeben können was man empfindet wenn man davor steht, man kann es vermutlich mit (Foto-)Bildern nicht einfangen, vielleicht mit den richtigen Worten, mit Vergleichen wie der gefrorenen Träne auf der Wange der Zeit... und man kann nur hoffen, dass die Erinnerungen nicht allzu schnell verblassen...
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Swathi Iyer (Montag, 16 September 2013 06:02)
Echt schönes Blog :) Also ehrlich zu sagen, ich habe nicht ganz verstanden (bin auch nicht so gut mit Blog Deutsch :P ) aber trotzdem "nice one"!!
PS: I hope you remember me, from Pondicherry trip!! Also i am glad to see someone interested in the story behind everything :)