7.9.
Am Samstag nach dem Frühstück machten wir uns auf den Weg in Richtung Altstadt. Sie ist nicht wirklich weit weg von unserem Hotel, der Weg führt in Richtung Red Fort auf einer guten breiten Strasse, vor dem Red Fort biegen wir dann aber nach links ab und man hat das Gefühl man ist sofort in einer anderen Welt. Der aufgeräumte, saubere, fast schon ordentliche Eindruck weicht instantan dem Chaos, das man auch von den meisten Ecken Bangalores gewöhnt ist, vermutlich ist das Chaos sogar noch größer und das will was heißen.
Größter und auffallenster Unterschied zu Bangalore sind die Heerscharen von Fahrrad-Rikschas die am Strassenrand auf Kunden warten oder sich schon durch das Gewusel aus Menschen und Fahrzeugen schlängeln, jeden Millimeter Freiraum ausnutzend. Ohne eine Fahrt mit der Fahrrad-Rikscha durch die Altstadt hat man Delhi nicht gesehen… Wir beschliessen allerdings das erstmal noch zu verschieben, weil Balu, eh schon schlecht gelaunt (wobei man immer schlecht einschätzen kann ob er wirklich mies drauf ist oder nur seine bärbeissige Fassade zeigt), Angst hat, dass wir das Tagesprogramm nicht schaffen. Er ist eh schon immer "not amused" wenn wir uns nicht an die wohl übliche Minutentaktung beim Sightseeing halten (frei nach dem japanischen Modell, Europa in 4 Tagen, die Welt in 7), sondern uns einfach mehr Zeit nehmen um auch die vorherrschende Atmosphäre aufzunehmen.
Erster Punkt heute: Die Jama Masjid Moschee, eine der größten Moscheen überhaupt, auf jeden Fall die größte Indiens. Der Großmogul Sha Jahan (der mit dem Taj Mahal…) hat die Moschee bauen lassen, allerdings in seiner späten Regierungszeit, also nach dem Taj Mahal, so Mitte des 17. Jahrhunderts. Angeblich passen so 20 – 25 000 Menschen rein, dann, glaube ich, geht's aber schon sehr eng zu…
Beim Reingehen mussten sich Benedict und Sebastian ein paar hübsche Tücher als Röcke um die Leisten schwingen, weil sie in kurzen Hosen unterwegs waren und das geht halt in der Moschee gar nicht und ausserdem mussten natürlich die Schuhe draussen bleiben, aber das ist ja bei jedem indischen Tempel auch so. Laut Eingangstafel sind Frauen nach Sonnenuntergang nicht mehr erlaubt, aber da waren wir ja noch weit davon entfernt…
Rings um den Platz sind schattige Arkaden, die von vielen Menschen zur Siesta genutzt wurden, sonst war eigentlich nicht viel los. Von mehreren Seiten sind Tuchbahnen über den Platz von den Eingängen bis zum Hauptgebäude gelegt, als Fusswege, weil man sich sonst auf dem roten Steinboden vermutlich Blasen wegen der Hitze holen würde. Insgesamt ein sehr beeindruckender Bau und auch die ganze Atmosphäre war sehr friedlich, fast schon beschaulich. Das linke Minarett kann man besteigen was wir auch gemacht haben, 120 Stufen, ziemlich enges Treppenhaus aber was macht man nicht alles wenn's eh schon im Eintritt mit dabei ist..:-). Die Kinder mussten ja wieder mal keinen Eintritt bezahlen (wir Erwachsenen mussten den normalen Preis bezahlen, Inder Rabatt gibt es hier nicht, wahrscheinlich müsste man Moslem sein um billiger reinzukommen, aber konvertieren wollte ich dann doch nicht) aber für die Minarettbesteigung mussten wir für die Jungs dann doch nachzahlen, das verstehe wer will, die ersten zwei Kontrolleure haben uns durchgelassen, aber der finale Eintrittskartenbegutachter direkt am Turmeingang, ein kleiner Giftzwerg, war unerweichlich. Es hat auch keine Quittung gegeben, aber ich gehe mal davon aus, das die Rupees schon im Moschee-Klingelbeutel gelandet sind, schliesslich waren wir ja in einem Gotteshaus und da wird ja nicht in die eigene Tasche gewirtschaftet, oder? Die Aussicht über Old Delhi und rüber zum Red Fort war dann auch toll.
Das Red Fort war dann auch unser nächster Tagesordnungspunkt. Ich muss zugeben, dass mir bis zu dem Zeitpunkt nicht klar war, dass es sich dabei eigentlich um die Palastanlage handelt, ich dachte bei Fort immer an eine reine Verteidigungsanlage mit vielen Soldaten ala John Wayne und ringsrum reiten johlende Indianer (naja, das war ein anderer Kontinent…). Es ist natürlich auch eine Verteidigungsanlage, mit hohen Mauern umgeben und einem Burggraben in dem früher Krokodile lebten und angeblich auch Tiger, und auch vielen Soldaten (wobei das Red Fort Delhi seit 2003 nicht mehr von der indischen Armee genutzt wird, im Red Fort Agra befinden sich nachwievor 20 000 Soldaten in einem der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Bereich…aber Agra ist erst im nächsten Blog dran…) aber in der weitläufigen Anlage wohnten halt auch die Herrscher mit ihren Familien und Kurtisanen (auch dazu beim nächsten Mal mehr) und sie hielten hier auch Audienzen für's Volk und für hohen Staatsbesuch ab. Die Briten haben hier leider einen Teil des ursprünglichen Forts abgerissen um Platz und Wohnraum für ihre Soldaten zu schaffen, aber es ist immer noch viel genug vorhanden um einen guten Eindruck von dem mitunter feudalem Leben zu bekommen. Leider haben wir uns keinen Guide genommen weil uns Balu nur eine Stunde Aufenthalt genehmigt hat (die wir trotzdem auf zwei Stunden ausdehnten..;-), sollte es ein nächstes Mal geben, werden wir das anders machen, wir haben in Agra gesehen wieviel Zusatzinfos so ein Guide geben kann. An der Kasse haben wir dann auch gesehen, dass es jeden Abend eine Sound and Light Show im Fort gibt, mehrmals die Woche auch auf Englisch und just auch am Samstag abend, also war unser Plan eh am Abend zurückzukehren.
Also zurück zum Auto und auf zum nächsten Programmpunkt, dem Qutub-Komplex mit dem Qutb Minar, einem Turm mit 72 einhalb Metern Höhe aus dem ausgehenden 12. Jhd. also kurz vor der Zeit der Sultane in Delhi, gebaut als Siegesturm der Moslems über die Hindus. Er ist durchaus beeindruckend, bis vor gut 30 Jahren konnte man ihn wohl auch noch besteigen, aber '81 hat scheinbar ein Stromausfall zu einer Panik geführt bei der 45 Menschen ums Leben kamen, seitdem ist der Turm nicht mehr öffentlich zugänglich. Auf dem Komplex befindet sich hauptsächlich noch die Ruine einer alten Moschee und einige Gräber, auch sehr beeindruckend, aber wie es halt so ist, irgendwann ist mal die Luft raus beim Betrachten alter Steine (zumindest beim Normalo Touri ohne archäologisches Grundstudium). Eins fand ich aber noch erwähnenswert, etwas abseits des Qutub Minars steht der Überrest eines angefangenen Turms. Laut Erklärungstafel wollte der Sultan Ala ud Din Kaljhi in seiner Regentschaft Anfang des 14. Jhds. einen neuen Turm bauen lassen, den Alai Minar, der doppelt so groß hätte werden sollen wie der Qutub Minar. Das Männer-Motto: "Meiner ist aber größer als Deiner" hat also damals schon gegolten und ist nicht erst mit der Mercedes E-Klasse entstanden. Leider hat der Sultan aber 1316 den Weg alles Irdischen eingeschlagen und somit ist der Turm nie über eine Höhe von 24 einhalb Metern rausgekommen, tja, Pech gehabt, aber E-Klasse gab es ja damals, glaube ich, noch nicht…
Nächster und letzter Pflicht-Punkt im Tagesprogramm (war auch gut so, weil die Jungs schon kurz vorm Rebellieren waren und ich weiß nicht was diese ganzen Geschichten von Erbschaftsmorden etc. bei den Kindern insgeheim für Gedanken auslösen können…ich sollte ihnen vorsichtshalber die Taschenmesser wegnehmen..;-) war dann ein Zeitsprung in die Neuzeit, der Lotustempel. Alt Dehli haben wir übrigens schon mit dem Qutb Komplex hinter uns gelassen und jetzt befinden wir uns wieder mitten in Neu Delhi…nur der Vollständigkeit halber…
Vielleicht hat jemand schon mal was von der Bahai Religion gehört. Ich ehrlich gesagt nicht und es ist mir auch zu mühsam mich in die genaue Philosophie die dahinter steckt einzuarbeiten, nichtsdestotrotz war ich sehr beeindruckt. Nicht nur von dem Bau an sich, der eben einer Lotusblüte nachempfunden ist, sondern von der Idee hinter dieser Andachtsstätte, zumindest wie ich sie verstanden habe. Jeder Mensch, egal ob und welchem Glauben er auch angehört, ist eingeladen sich hier einige Minuten innerer Ruhe, Besinnung oder eben Andacht zu gönnen. Letztendlich das was vielleicht ein Christ in der Kirche macht, ein Moslem in der Moschee, oder jemand wie ich in den Bergen. Es gibt keine Symbole irgendeiner Religion und es werden auch keine Rituale abgehalten. Die Menschen jeglicher Coleur gehen rein, nebeneinander , friedlich, dann werden die Türen geschlossen und man ist aufgerufen in sich zu gehen. Nach einigen Minuten gehen die Türen wieder auf und der nächste Schwung kommt. Hört sich ein bisschen nach Massenabfertigung an, ist es vielleicht auch, aber man empfindet das nicht so. Übrig bleibt der Gedanke, dass alle Menschen nebeneinander und miteinander leben können, man muss sich nur tolerieren und die eigenen Bedürfnisse vielleicht mehr nach innen als nach aussen wenden. Wie gesagt, das ist meine Interpretation und das sind meine Empfindungen, aber selbst die Kinder waren beeindruckt und anschliessend friedlicher (nur leider ist das immer nicht nachhaltig..;-).
Es gibt weltweit übrigens sieben dieser Bahai Andachtshäuser, auf sieben verschiedene Ecken der Welt verteilt und keines ist wie das andere. Der Lotustempel ist das jüngste dieser Häuser, 1986 eröffnet. In Europa gibt es auch eins, gar nicht so weit weg, in Frankfurt, sicherlich mal einen Besuch wert, wenn man in der Gegend ist.
So, den Jungs hat es aber anschliessend gereicht, ob friedlich oder nicht, Balu hat sie ins Hotel gebracht und Kathrin und ich haben uns zurück in die Altstadt fahren lassen, es war ja schon am Dunkel werden und die Light and Sound Show im Fort stand ja noch aus. Eine knappe Stunde hatten wir aber noch, also rein in die erste Fahrrad-Rikscha und ab ins Chaos. Vorher habe ich mir aber noch ein Hemd gekauft, da die andauernde Schwüle eigentlich nicht zulies zweimal das gleiche Hemd anzuziehen und ich wusste ja, dass am nächsten Tag mein erstes Rendevouz mit dem Taj Mahal bevorstand…und der erste Eindruck ist ja bekanntlich der Wichtigste…da will man ja auch nicht unbedingt mit einem popligem T-shirt erscheinen…
Zurück zur Fahrrad-Rikscha, zwei dicke Europäer lassen sich von einem kleinem, drahtigem, sich abstrampeltem Inder rumkutschieren. Nicht gerade das Sinnbild des sozialen Gleichheitsgedanken, aber damit ist man hier eh fehl am Platz. Aber durchaus mal wieder eine Gelegenheit sich bewusst zu machen, dass man wirklich auf der Sonnenseite unserer globalen Gesellschaft geboren ist. Und trotzdem machte der Fahrer (und zwei weitere die wir im Laufe des Abends noch bemühten) keinen unglücklichen oder unzufriedenen Eindruck, auch etwas worüber man vielleicht mal nachdenken könnte…
Aber wie bereits erwähnt, Dehli ohne Fahrrad-Rikscha-Erlebnis geht nicht. Nur so kann man mit allen Sinnen diese Stadt erleben und nicht nur mit allen Sinnen, auch mit allen Knochen, da man jedes Schlagloch ungedämpft mitbekommt…
Das Verkehrschaos war so krass, dass wir den Rikscha Fahrer ca. 300 Meter vor dem Fort bezahlt haben und zu Fuss weiter gegangen sind um noch den Hauch einer Chance zu haben pünktlich zu kommen (was uns nicht gelungen ist), wären wir sitzen geblieben hätte diese Strecke sicherlich nochmal mindestens eine halbe Stunde gedauert…
Die Show war auch sehr interessant und man sollte diese Gelegenheit, so sie einem geboten wird, auch wirklich nutzen. Ein Sprecher erzählt die Geschichte Delhis bzw. des Forts bis in die Neuzeit, wo es losgeht kann ich leider nicht sagen, weil wir ja zu spät gekommen sind und als wir schliesslich da waren haben schon die Mogulen regiert. Unterstützt wird das ganze durch Sound- und Musikeinspielungen in Dolby Sourround Qualität und dem Illuminieren der verschiedenen Palastgebäude.
Nach der Show, so gegen halb 10 haben wir dann den zweiten Versuch zum Thema "Mit der Fahrrad-Rikscha durch Old-Delhi" gestartet. Der Verkehr war nicht mehr katastrophal chaotisch, sondern nur noch normal chaotisch, und wenn ich vorher noch keinen Bandscheibenschaden hatte, dann auf jeden Fall nachher, aber es war toll. Um diese Zeit sind auch nicht mehr viele Touristen unterwegs und man sieht das Leben wie es sich wirklich auf der Strasse abspielt, sei es den Friseursalon am Strassenrand, bestehend aus Stuhl und Spiegel pro Platz, in mehrfacher Ausfertigung, der indischen Strassenkombo die sich in irgendeinem Eck zusammengefunden hat oder den Leuten die sich bereits zur Nachtruhe hinlegten, auf einem Stück Pappkarton mitten auf dem (eigentlich eh nicht vorhandenen) Gehsteig, den Kopf gemütlich auf einen Pflasterstein gekuschelt…
Nach der Rundfahrt gab es noch ein paar Datteln und Bananen und bereits am Verkaufsstand wurden wir angesprochen ob wir denn ein Taxi zum Hotel bräuchten, ja, natürlich, Balu haben wir ja schon vor Stunden freigegeben und es war ja langsam Zeit nach Hause zu kommen. Also hat der potenzielle Taxifahrer gesagt, er wäre gleich zurück, war er auch, aber, guess what, mit einer Fahrrad-Rikscha…er hat behauptet es wäre kein Problem und er würde locker in 20 Minuten am Hotel sein…na gut, so sei es… es stellte sich allerdings dann heraus, dass er keine Ahnung hatte wo sich das Hotel "The Hans" eigentlich befindet, er hat uns halt dahin gebracht wo die größte Hoteldichte Neu-Delhis ist. Nachdem wir ihn aufgeklärt hatten, dass wir aber nicht da wohnen hat er doch mal gefragt und hat auch anschliessend nochmal energisch in die Pedale getreten, allerdings nur bis zum Connaught Circle, weiter durfte er angeblich nicht mit der Fahrrad-Rikscha…wahrscheinlich hat er halt keinen Bock mehr gehabt… ca. 2 Kilometer waren noch zu bewältigen, wäre sicherlich auch zu Fuß möglich gewesen, aber angesichts der Uhrzeit und unseres Gesamtzustands haben wir uns doch für eine Motor-Rikscha entschieden. Kurz vor halb 12 und damit noch kurz vor der Last Order an der Hotelbar waren wir schliesslich da. Der Kellner hat aber sofort darauf hingewiesen, dass in 15 Minuten zugesperrt wird und ich habe mich mal wieder weichklopfen lassen und nur ein Bier bestellt. In Anbetracht meiner vollkommenen Ausgetrockenheit, hätte die Viertelstunde wohl locker für zwei, wahrscheinlich sogar drei Bier gereicht…waren eh nur die Kinderportionen (0,33)…:-(.
Jetzt aber ab ins Bett, morgen geht's nach Agra…
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Matthias (Donnerstag, 12 September 2013 21:04)
Am Wochenende fahre ich mit der E-Klasse nach Frankfurt.
Ich nehme das mal als ein Zeichen und schaue ob mir dort das Bahai Andachtshaus über den Weg läuft.